Stellungnahme - Vitamin B17 (Amygdalin)

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie (PRIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft zu Vitamin B17 (Amygdalin)

17.08.2024

Hintergrund


Amygdalin kommt in bitteren Aprikosen-, und Mandelkernen vor. Es handelt sich um eine Glykosidverbindung, aus der das in den Kernen der Früchte enthaltene Enzym alpha-Glucosidase Blausäure freisetzen kann. Nach oraler Aufnahme wird aus Amygdalin Mandelonitril freigesetzt und durch die Flora im Darm zu Benzaldehyd und Cyanid transformiert, sodass eine Intoxikationsgefahr besteht [1].


Vitamin B17 wird in der Alternativen Medizin zur Prävention von Tumorerkrankungen und als alternative Therapiemethode angeboten. Als Erklärung für die postulierte Wirkung werden im Wesentlichen zwei verschiedene Theorien angeboten:

  1. Tumorerkrankungen entstehen durch einen Mangel an Vitamin B17 – damit besteht eine einfache Möglichkeit zur Therapie oder Prävention.
  2. Es bestehen Unterschiede in der Enzymausstattung mit alpha-Glucuronidase und Rhodanase zwischen gesunden und Tumorzellen. Je nach Argumentationskette soll in Tumorzellen mehr Cyanid entstehen bzw. dieses dort nicht entgiftet werden können, während dies in gesunden Zellen möglich sei.


Wissenschaftliche Erkenntnisse:

  1. Amygdalin ist kein Vitamin. Deshalb gibt es keinen Mangel an dieser Substanz, der eine Krebserkrankung auslösen kann.
  2. Die postulierte Unterscheidung der Enzymausstattung zwischen Tumor- und gesunden Zellen konnte bisher nicht belegt werden [2].
  3. In Kasuistiken wurde eine Reihe von erheblichen Nebenwirkungen berichtet:
    Erbrechen, Fieber, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, schwere abdominale Krämpfe, Hepatosplenomegalie, Kopfschmerzen, Schwindel, Kollaps, Schwäche, Benommenheit, Herzrasen, Luftnot, metabolische Azidose, Hypoxie, Lungenödem, Agranulozytose, hämolytische Anämie, neutropenische Sepsis, Hämaturie, nephrogener Diabetes insipidus, kardiorespiratorischer Arrest, Koma.
    Mehrere Todesfälle sind publiziert worden.
    V.a. bei oraler Einnahme entwickeln sich Zeichen der Cyanidintoxikation, Berichte zur intravenösen Gabe fehlen weitgehend. Allerdings wurde ein Fallbericht mit einer neutropenischen Sepsis nach i.v. Gabe (schulmedizinische Therapie: Trastuzumab) berichtet.
  4. Vitamin C erhöht die Toxizität von Amygdalin. Da Vitamin C ein häufiger Bestandteil alternativer Krebstherapien ist, besteht hier ein besonderes Risiko bei gleichzeitiger Anwendung [1].
  5. Eine retrospektive Fallauswertung im Auftrag des US-amerikanischen National Cancer Institutes konnte 93 Fälle analysieren. 26 waren wegen unzureichender Dokumentation nicht beurteilbar; in 6 Fällen wurde eine Response festgestellt. Obwohl nur aufgerufen worden war, positive Verläufe zu berichten, wurde über mehr als 1000 Patienten berichtet, die keinen Nutzen hatten, [3].
  6. Eine klinische Studie mit 178 Patienten mit unterschiedlichen Karzinomen untersuchte Amygdalin in Kombination mit einer „metabolischen Therapie“ aus Diät, Enzymen und Vitaminen und fand keinen Benefit in Bezug auf Stabilisierung oder Besserung der Tumorerkrankung. Ebenso wenig zeigte sich ein Vorteil in Bezug auf eine Symptomverbesserung. Mehrere Patienten entwickelten Zeichen der Zyanidintoxikation oder einen hohen Zyanidspiegel bis zur letalen Dosis [4].
  7. Nach Einschätzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist Amygdalin als „bedenkliches Arzneimittel“ im Sinne des § 5 Arzneimittelgesetz (AMG) einzustufen. „Bedenkliche Arzneistoffe dürfen danach nicht in Verkehr gebracht werden und nicht an anderen Menschen angewendet werden. Eine Abgabe ist somit für Amygdalin selbst dann unzulässig, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt.“ [5]
  8. Diese Einschätzung stimmt mit der Empfehlung in der S3 Leitlinie Komplementäre Onkologie überein. [6]


Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft PRIO:


Die Arbeitsgemeinschaft PRIO schließt sich der Einschätzung des Bundesinstitutes für Risikobewertung [5] an. Vor dem Einsatz von Amygdalin/„Vitamin B17“ und dem Verzehr von Aprikosenkernen ist dringend abzuraten. Keinesfalls ersetzt diese eine leitliniengerechte onkologische und/oder palliative Therapie.


Literaturangaben:

  1. Milazzo S, Ernst E, Lejeune S et al.: Laetrile treatment for cancer. Cochrane Database Syst Rev 2011; Issue 11: CD005476.
  2. Wodinsky I et al.: Antitumor activity of amygdalin MF (NSC-15780) as a single agent and with beta-glucosidase (NSC-128056) on a spectrum of transplantable rodent tumors. Cancer Chemother Rep. 1975;59(5):939-950.
  3. Ellison NM, Byar DP, Newell GR: Special report on Laetrile: the NCI Laetrile Review. Results of the National Cancer Institute's retrospective Laetrile analysis. N Engl J Med 1978; 299: 549-552.
  4. Moertel CG, Fleming TR, Rubin J, Kvols LK, Sarna G, Koch R, Currie VE, Young CW, Jones SE, Davignon JP. A clinical trial of amygdalin (Laetrile) in the treatment of human cancer. N Engl J Med. 1982 Jan 28;306(4):201-206.
  5. Verzehr von bitteren Aprikosenkernen ist gesundheitlich bedenklich. Aktualisierte Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung; Nr. 009/2015 des BfR vom 7. April 2015http://www.bfr.bund.de/cm/343/zwei-bittere-aprikosenkerne-pro-tag-sind-fuer-
    erwachsene-das-limit-kinder-sollten-darauf-verzichten.pdfLilienthal N. Amygdalin ‒ fehlende Wirksamkeit und schädliche Nebenwirkungen; Arzneimittel im Blick 2014;3(9):7-13.
  6. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen, Langversion 2.0, 2024, AWMF-Registernummer: 032-055OL; https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/komplementaermedizin/; Zugriff am 17.08.2024


Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Jutta Hübner
Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft
Universitätsklinikum Jena E-Mail: jutta.huebner@med.uni-jena.de

 

 

 

Hier können Sie die offizielle Stellungnahme der PRiO herunterladen: 

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